GESUNDHEITSTRAINING FÜR HIV-POSITVE

Ein Projekt von Birgit Bader, Juni 1998

 

1. Persönliche Vorbemerkung

Seit 1991 arbeite ich mit 50% als psychologische Beraterin im Struensee-Centrum der AIDS-Hilfe Hamburg e.V. Meine Tätigkeit besteht zum einen in der telefonischen und persönlichen Beratung von Menschen, die fürchten, sich mit HIV infiziert zu haben; zum anderen in der Krisenintervention mit denen, die sich tatsächlich infiziert haben und nun nach einem offenen Ohr zur Entlastung, nach Strategien zur Bewältigung ihres Schocks über die HIV-Infektion und der befürchteten AIDS-Erkrankung suchen.

Neben dieser Tätigkeit arbeite ich seit fast zehn Jahren freiberuflich u.a. auch mit Gruppen von HIV-Positiven zu unterschiedlichen Themen, meist zu Themen wie Streßbewältigung, Partnerschaften, neue Lebenskonzepte und Entspannungsverfahren.

Darüber hinaus bin ich als Supervisorin tätig und habe in diesem Rahmen bundesweit verschiedene AIDS-Hilfen supervidiert und diese bei unterschiedlichen Fragen zu Inhalten der Arbeit und der Organisation AIDS-Hilfe beraten.

In dieser Zeit habe ich neben der fachlichen Kompetenz über HIV / AIDS und die internen Strukturen von AIDS-Hilfe auch viel über das erfahren, was ich hier etwas abstrakt "den Zustand HIV" nennen möchte.

 

2. Diagnose HIV-positiv

Auf der nachfolgenden Mindmap sind die Hauptthemen dieses durch einen Labortest diagnostizierten Zustandes abgebildet.

Was sich hier so simpel liest, täuscht über die meist als soziale Katastrophe empfundene Tatsache hinweg, daß - anders als z.B. bei Krebs oder MS - in den meisten Fällen hier in Nordeuropa mit einem Schlag ein Lebensstil aktenkundig wird, der gesellschaftlich immer noch nicht akzeptiert ist: ein Leben als homosexueller oder bisexueller Mann, Partnerin eines bisexuellen Mannes oder intravenöser Drogenkonsum.

Sexualität und Rausch als "Verursacher" der HIV-Infektion und AIDS als Metapher für den bevorstehenden Tod sind nicht die einzigen Themen, die auch von den Betroffenen selbst verkraftet werden müssen. Diese transpersonalen, entäußernden Zustände von Ekstase und Auflösung sind im öffentlichen Bild gepaart mit "schmuddeligen Typen" (Drogengebraucher), "Päderasten" (Homosexuellen) und "Schlampen" (Frauen, die sich über sexuelle Kontakte infiziert haben).

Der Leser möge mir hier die etwas saloppe Ausdrucksweise verzeihen. Sie ist zur Pointierung des kollektiven Beliefs, den auch die Betroffenen mittragen, gedacht. Die Nähe zu den genannten Themen und die Angst, jetzt vollends mit einem "lasterhaften" Lebensstil identifiziert zu werden, macht es nicht verwunderlich, daß sich HIV-positive Menschen ihrer Umgebung oft nicht preisgeben. Sie verlieren einen Teil ihrer sozialen Identität, wenn sie es nicht schaffen, sich über die befürchtete Diskriminierung hinwegzusetzen.

HIV ist von daher kein Befund wie jede andere auch. Sämtliche Logischen Ebenen erscheinen nun im Licht der Diagnose, und auch die Betroffenen selbst bilden allzu schnell eine "HIV-Identität" heraus (ich bin HIV-positiv), die sie in vielen Fällen ihre anderen Fähigkeiten und Ressourcen vergessen läßt.

Das Virus ist also im Kopf, bevor es tatsächlich die Blut-Hirn-Schranke überwunden hat.

HIV-positiv in Nordeuropa zu sein bedeutet,

 

3. Weg von - hin zu

In den AIDS-Hilfen hat man sich aufgrund der ungünstigen Prognose, daß in den meisten Fällen eine HIV-Infektion in eine AIDS-Erkrankung mit tödlichem Ausgang übergeht, von Anfang an intensiv mit den Themen Krankheit und Verlust, Tod und Sterben, Trauer und Abschiednehmen beschäftigt.

Doch spätestens seit der Entdeckung, daß einige Menschen ganz unproblematisch mit dem Virus leben, vielleicht sogar nie an AIDS erkranken, wendet sich der Blick auch wieder hin zu einem Leben mit HIV und weg von einem Sterben an AIDS.

Was haben oder tun diese "long term non progressors" im Unterschied zu anderen HIV-Positiven, die an AIDS erkranken? Dies ist eine der Fragen, die nicht nur HIV-Positive selbst, sondern auch die Fachwelt sehr interessieren, denn die pharmazeutischen und medizinischen Forschungen haben bisher zwar gute Behandlungsmöglichkeiten der AIDS-definierenden Erkrankungen ergeben, bisher aber weder einen Impfstoff noch eine kurierende Therapie entwickelt. Entwarnung ist also nicht in Sicht. Auch die Möglichkeit, daß sich ein Leben mit HIV wie z.B. mit Diabetes in eine chronische Erkrankung verändern läßt, ist leider wieder in weite Ferne gerückt, da die Hoffnungsschimmer des Welt-AIDS-Kongresses aus Vancouver, die antiretroviralen Therapien, nun mit ersten Resistenzen aufwarten.

Im Zuge dieser fieberhaften Suche nach den Unterschieden, die den Unterschied zwischen denen, die an AIDS erkranken und denen, die scheinbar unproblematisch mit HIV leben können, wurden leider bisher keine eindeutigen Muster und Verhaltensregeln gefunden, auch wenn aus der Krebsforschung schon richtungsweisende Untersuchungen über psychoneuroimmunologische Zusammenhänge (Simontons, Grossard-Maticek / Stierlin) vorliegen. Umso mehr lohnt es sich, das Augenmerk auf die begleitenden geistigen Prozesse zu lenken, die Krankheit(sverläufe) und Gesundungsprozesse begleiten bzw. sogar mitbedingen. Möglicherweise findet sich ja irgendwann ein mentaler "Master-Key" für Gesundheit von Körper, Seele und Geist.

 

4. Das HIV-Gesundheitstraining

Zur Zeit beende ich den fünften Zyklus einer Veranstaltung, die unter dem Namen "HIV-Gesundheitstraining" läuft. Diesen Namen haben ich anfangs gewählt, um einen Kontrapunkt zu setzen gegen die vielen Gesprächsgruppen und Seminare, in denen viel Zeit und Raum genutzt wird für all das, was nicht mehr geht und was sich zunehmend verschlechtert, kurz: alles Problematische.

Dieser Name hat sich inzwischen etabliert, auch wenn ich ihn heute nicht mehr wählen würde. Ich bin dankbar für jede Anregung, wie meine Arbeit innerhalb dieser Zyklen namentlich so eingepackt werden kann, daß er etwas genauer wiedergibt, was dort passiert.

Die vergangenen fünf Zyklen waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, da jedesmal mindestens zwei Faktoren gänzlich anders waren:

Geblieben sind die Abendtermine im wöchentlichen Abstand, die etwa 2,5 Stunden pro Termin und das Setting, daß ein Thema an einem Termin bearbeitet wird.

Anfangs habe ich mich bei der Themenwahl zunächst an den Themen, die Eberhard Beitel in seinem "Bochumer Gesundheitstraining" bearbeitet, meiner Arbeit aus dem Bereich der Streßbewältigung, Vorgehensweisen von Janet Konefal, wie ich sie in ihrem Workshop-Konzept "Breakthrough!" kennengelernt habe, und natürlich den Kenntnissen, die ich im "Health Certification Training" von Robert Dilts, Suzi Smith, Tim Hallbom und Wolfgang Lenk erworben habe.

Im Laufe der Zeit haben sich über die Zeit einige Säulen herauskristallisiert, die ich hier benennen möchte.

Ziel des Gesundheitstraining ist es auf jeden Fall, die mentale Kette HIV = AIDS = TOD zu durchbrechen und sie dahingehend zu variieren, daß die AIDS-Erkrankung nicht die einzige Zukunftsperspektive ist, sondern das andere Ziele ebenso möglich sind. Für die konkrete Arbeit bedeutet das, den Fokus immer wieder auf das zu lenken, was klappt, was gut läuft und was funktioniert. Auf dieser Basis bin ich dabei, Themen zu herauszufiltern und Vorgehensweisen zu entwickeln, die in einem überschaubaren Rahmen so bearbeitet werden können, daß die Teilnehmer den Kern der Idee mitnehmen und für sich selber weiterspinnen können.

Weitere Ziele des Gesundheitstrainings:

Der "Zustand HIV" bringt es mit sich, daß über einen langen Zeitraum Grundaufregung und Anspannung vorhanden sind, die das Immunsystem und den Organismus dauerhaft belasten. Angst, Schlafstörungen, nervöse Magenbeschwerden, Anspannungen im sozialen Kontakt und Sexualstörungen sind nur einige Symptome, die dies eindrucksvoll belegen.

Als wesentliche emotionale Qualität des HIV-Gesundheitstrainings können von daher die Säulen

gelten, die die Arbeit an den jeweiligen Themen untermauern und tragen. Dazu gehört auch, daß ich als Trainerin vor dem Gesundheitstraining selber in einen Zustand von Ruhe, Heiterkeit und Gelassenheit komme, damit ich diese Stimmung auch aktiv produzieren und an die Teilnehmer des Trainings weitergeben kann.

Die Abende werden mit einer Runde zur letzten Woche eingeleitet. Hier wird ein Rückblick gemacht unter der Fragestellung: "Was war gut, was hat geklappt, was hat funktioniert, was ist befriedigend verlaufen?" Hier geht es darum, Ressource-Stapelanker zu produzieren und den Geist in Richtung Befriedigung und Versöhnung zu lenken. So können sukzessive Wahlmöglichkeiten eröffnet werden, wie Erlebnisse auch gesehen werden können.

Die Themen der Abende waren in diesem Zyklus

Methodisch wechselte die Arbeit zwischen Gespräch und Meditation in der Gesamtgruppe, Einzelarbeit, Zweiergespräche, Interviews, Fragebögen und bildlicher Darstellung des Themas.

Der "geheime Lehrplan" dieses Vorgehens ist, die Ausdrucksfähigkeit zu erweitern, soziale Isolation zu durchbrechen und neue Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen.

Die Arbeit mit den Logischen Ebenen dient mir als Richtschnur für das gesamte Gesundheitstraining. Ein wichtiges Thema ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der HIV-Infektion selbst: wie schon oben erwähnt, entwickeln die meisten HIV-Positiven sehr schnell eine HIV-Identität (ich "bin" HIV-positiv). HIV gedanklich und sprachlich auf die Ebene des Verhaltens zu bringen (ich "habe" einen HI-Virus) bedeutet bereits, das Thema wieder an die Peripherie der Identität zu befördern und andere identitätsstiftende Themen zu aktivieren. Wenn dies nicht gelingt, können so die Sekundärgewinne deutlich werden und Alternativen z.B. für das Bedürfnis, umsorgt zu werden, erarbeitet werden.

Und ganz wichtig sind Meditation, Phantasiereisen, Entspannungs- und Atemübungen sowie Massagetechniken, damit Körper, Seele und Geist sich zentrieren und beruhigen können.

 

5. Abschlußbemerkung

Das Gesundheitstraining ist weiterhin in der Entwicklung begriffen. Ich bin weit davon entfernt, DAS KONZEPT entdeckt zu haben, was allerdings auch bedeutet, daß ich die Geschichte und den Entwicklungsstand von HIV und AIDS weiterhin pace: als Terrain, auf dem bisher nichts von Dauer ist und auf dem infolgedessen viel geforscht und entwickelt wird; als Dauerherausforderung, sich morgen schon wieder auf eine ganz andere Generation von HIV-positiven Menschen einstellen zu müssen; als Schälprozess, in dem sich immer genauer das Gemeinsame und Wichtige für Gesundungsprozesse herausbilden und von dem eher Unwesentlichen unterscheiden kann; als Prüfstein für die Tragfähigkeit von bekannten Konzepten (Gruppenangebot) in einer Gruppierung, die oft sozial sehr vereinzelt lebt und mißtrauisch gegenüber anderen geworden ist; und last but not least als Möglichkeit für mich selbst, meinen Forscherteil zu beschäftigen und diesem eine Aufgabe zu geben, die meiner Misson entspricht.

 


[ MILTON ERICKSON INSTITUT BERLIN ]