HYPNOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNG EINER SPRACHSTÖRUNG

Behandlung von Sprachproblemen eines bilingualen Griechen

Wolfgang Lenk - publiziert in Hypnose und Kognition, 1990

 

keywords: Sprachstörung, NLP, Hypnotherapie, Time Line Therapy, Re-Imprinting, Regression/Progression, Metaphors, Problem-Trance

 

abstract:

Beschreibung der Therapie eines 27 jährigen bilingualen Griechen, der in bestimmten Situationen Worte und Wortgruppen, ohne es zu registrieren, so stark verwechselte, daß die Angesprochenen den Sinn seiner Aussagen nicht mehr entschlüsseln konnten. In der therapeutische Behandlung mit 8 Sitzungen in meist drei-wöchentlichem Abstand wurden Interventionen aus Hypnotherapie, NLP und der Systemischer Therapie eingesetzt, die zu einem veränderten Verständnis seiner Familiengeschichte, neuen Einstellungen und Verhaltensweisen, zu einer Verbesserung seiner Kurzsichtigkeit und schließlich zur nahezu vollständigen Behebung der als Problem präsentierten Sprachstörungen führten.

 

 

1 . Anamnese


Die Daten zur Anamnese der Symptomatik und zur Biographie des Klienten haben sich gewissermaßen nach und nach im Verlauf unserer Zusammenarbeit ergeben bezw enthüllt; einerseits deswegen, weil ich jeweils nur so viele Daten erfrage, wie mir zur jeweiligen Intervention wichtig erscheinen, andererseits weil viele Daten dem Klienten zu Beginn der Therapie noch gar nicht bewußt sind. So hat mich in unserem Erst-Interview nur die detaillierte Beschreibung des präsentierten Problems "Sprachstörung" und der Kontext des Auftretens interessiert. Erst in späteren Stunden wurden als Folge der Interventionen Umrisse der (hier vorweg genannten) Biographie deutlich:

Der Klient kam 1962 als erstes Kind eines jungen Ehepaares in einem ganz kleinen griechischen Dorf zu Welt; sein Bruder wurde etwa ein Jahr später geboren. In dieser Zeit hatte der Klient einen Unfall, bei der er seine Augen so verletzte, daß sie lange Zeit eiterten, was in der Folge, wie ihm die Ärzte erklärten, zu seiner starken Kurzsichtigkeit führte. Da sein Vater als Plätter keine feste Arbeit fand, mußte die Familie insgesamt 6 mal in Griechenland umziehen, bevor die Eltern 1970 in die Bundesrepublik immigrierten. Einige Zeit später folgten die Kinder und der Großvater mütterlicherseits nach. Auf den Hauptschulabschluß folgte die Automechaniker-Ausbildung, dann das Fachabitur, und schließlich 2 Semester Maschinenbau. Dann entschied er sich für das Studium der Sozialarbeit und heute übt er diesen Beruf aus. Er lebt mit seiner Freundin zusammen, in derselben Stadt wie die Eltern, der Großvater und sein Bruder, die er regelmäßig sieht.

 

2 . Behandlungsplan


Der Entwurf zu einem Behandlungsplan entsteht bei mir oft aus den ersten Eindrücken über den Klienten und "seine Art" sowie aus (kurzzeit-therapeutischen) Hypothesen zur Symptomatik; sehr oft wird er geprägt von Modellierungs-Ideen zur Analyse bezw. zur (Neu-) Beschreibung des vorgetragenen Problems oder von dem Wunsch, neue Interventionsmodelle ausprobieren zu können. Meistens konkretisiert sich der Behandlungsplan dann durch die (verbalen wie nonverbalen) Reaktionen des Klienten, die ich auf meine Interventions-Angebote erhalte. Oder ich plane wieder neu, wenn ich ein in den vorgesehenen Plan nicht einordbares feedback bekomme.

Als der Klient in der ersten Sitzung die "Sprachstörung" explorierte, dachte ich zunächst an systemisch orientierte Interventionen und gab ihm eine entsprechende Hausaufgabe mit. Als der Klient jedoch in der zweiten Sitzung aufgrund der Hausaufgabe eine ausführliche Beschreibung der von ihm erlebten (autogenen Selbst-) Regression im Problemfeld geben und die damit verbunden Erlebnisse und Gefühle aus seiner Kindheit wieder erinnern konnte, dachte ich an das Konzept des 'Re-Imprinting' (einer speziellen Variante der therapeutischen Regressionsarbeit), weil es eine elegante Möglichkeit bietet, die "innere Familie" hinsichtlich der Beziehungsgestaltung sowie der Glaubens- und Wertsysteme nachhaltig zu verändern; gleichzeitig lassen sich mit diesem Interventionskonzept neue innere Rollenvorbilder zur Gestaltung von Beziehungen schaffen (was ich mit dem Konzept 'Problem/Lösungs-Trance' nicht erreichen kann) Aufgrund einer weiteren (Neu-) Beschreibung der "Sprachstörung" in der dritten Sitzung wurde dieser Behandlungsplan erweitert mit etwas 'Teile-Arbeit' und einer nlp-mäßige Form der therapeutischen Nutzung von Metaphern.

 

 

3 . Genereller Behandlungsverlauf


1. Sitzung: "Problemschilderungen des Klienten"

Der Klient kam nach wenigen Worten auf die Gründe seines Therapie-Wunsches zu

sprechen:

  1. er erlebt immer wieder ein starkes Gefühl von Trauer über seine Kindheit, daß er sich aber nicht "richtig erklären" und auch kaum beeinflussen kann und das "irgendwie" mit dem Großvater mütterlicherseits "verbunden" sein muß;
  2. er möchte auch an seinen "Augenproblemen" arbeiten; seit seiner Kindheit trägt er eine Brille; die Kurzsichtigkeit hat sich kontinuierliche seit damals verschlechtert, so daß er heute auf dem linken Auge 13, auf dem rechten 14,5 Dioptrin hat;
  3. häufig leidet er massiv unter seiner "Sprachstörung", sowohl in der griechischen als auch in der deutschen Sprache, was ihm oftmals erhebliche Schwierigkeiten im privaten als auch professionellen Bereich bereitet, da die Angesprochenen ihn dann nicht verstehen, was er selbst minutenlang nicht registriert (beispielsweise sagt er statt Stiefvater etwa fremde Tante oder statt Buch etwa geschriebene Landkarte oder er erfindet Worte, die "noch kein Mensch kennt").

Nach der Entscheidung, mit den Sprachstörungen zu beginnen und der Abklärung, daß kein neurologischer Befund vorliegt, stellte ich Fragen im Sinne der System Therapie, um selbst eine Idee zu bekommen, welche Bedeutung/Funktion/Sinn/Funktionieren die "Sprachstörung" haben könnte. Die Situationsschilderung machte deutlich, daß er sehr stark darunter leidet, wenn er seine in derselben Stadt lebenden Eltern besucht. Seiner Freundin fällt das am stärksten auf, und sie sagt ihm auch, daß es meist einige Tage anhält. Seiner Mutter fällt es am wenigsten auf. Da er in der Regel wöchentlich seine Eltern besucht, teils auch um Dinge für sie bei den städtischen Ämtern zu erledigen, ist die Sprachstörung mehr oder weniger ein Dauerzustand. Seine Eltern nicht zu besuchen oder den Wünschen der Mutter nicht nachzukommen, obwohl er selbst berufstätig ist, kann er sich nicht vorstellen. "Es geht einfach nicht, ich weiß auch nicht warum" antwortete er verlegen lachend. In der Wohnung seiner Eltern, wo auch der Großvater mütterlicherseits lebt, fühlt er sich behandelt "wie ein kleines Kind", was starke Wut- und Resignationsgefühle wachruft, die er aber nicht aktiv ausdrücken mag, weil sie "unangemessen" sind. Sein jüngerer Bruder dagegen darf sich alles rausnehmen, was ihn noch mehr ärgert. Er wünscht sich, seinen Eltern einmal "richtig die Meinung sagen" zu können, was im weiteren Gesprächs-Verlauf zu dem Ziel führte, sich klar, kraftvoll und fair abgrenzen zu können. Ich bat ihn, sich beide Verhaltensvarianten (die bisherige und die gewünschte) wie ein Theaterstück mit mehreren Akten (hier im Therapiezimmer) anzuschauen, auf alle Einzelheiten der beteiligten Schauspieler zu achten, das Verhalten des Protagonisten im (Wunsch-) Stück (als Regisseur) so zu optimieren, daß es ihm gefällt, und sich schließlich eine erfolgreiche Werbekampagne für beide Stücke auszudenken (1). Das eine Stück hatte den Titel "Der brave Sohn opfert sich seiner Mutter", das andere hieß "Der Rebell".

Zum Abschluß gab ich ihm als Hausaufgabe mit:

Bei den regelmäßigen Besuchen seiner Eltern möge er sich entscheiden, einmal sehr konsequent "den Rebell" zu spielen, und ein anderes Mal sehr detailliert "den braven Sohn" zu spielen und das genau zu beobachten; und im übrigen möge er alles beim alten lassen.

 

2. Sitzung: "Problemtrance-Analyse und Re-Imprinting"

Er beklagte sich lachend über die Anstrengung, die ich ihm zugemutet hatte. Es ist ihm einmal gelungen, sich ganz "konsequent abzugrenzen": das Abholen des ihm "zustehenden Olivenöls" hat nur 10 Minuten gedauert (normalerweise geht es nicht unter 2 Stunden ab). Aber neben dem Stolz, es (wenn auch krampfhaft) geschafft zu haben, hat er sich zwei Tage völlig erschöpft gefühlt, denn er hatte ständig das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen "auf der Welt zu sein". Das hatte er so deutlich noch nie wahrgenommen.

Die andere Übung war für ihn noch interessanter, jedoch noch schmerzvoller gewesen, weil er herausgefunden hat bezw. ihm bewußt geworden ist, wie er zu einem "kleinen unmündigen Kind" wird, wenn er die Eltern und den Großvater (der bei den Eltern wohnt) besucht.

Zu diesem Zeitpunkt war der Klient 27 Jahre alt; seine autogene Selbst-Regression verlief wie folgt:

  1. Wenn er in der Tür zur elterlichen Wohnung steht, fühlt er sich als wäre er 24 Jahre alt - zu der Zeit hat er seine jetzige Freundin kennengelernt, und die Mutter hat alles getan, um eine engere Beziehung zu verhindern.
  2. Wenn er die Familienmitglieder im Hintergrund der Wohnung sieht, dann fühlt er sich, als wäre er 18 Jahre alt - zu dem Zeitpunkt war er "über beide Ohren verknallt und wollte heiraten", was die Mutter damals so sehr torpediert hat, daß er ganz konfus mit seinen Gefühlen dem Mädchen gegenüber geworden war und die Beziehung abgebrochen hat. Er hat sich der Mutter gegenüber "schuldig" gefühlt und gleichzeitig geärgert, daß sie die enge Beziehung seines jüngeres Bruders zu einer Frau toleriert hat.
  3. Wenn er dann den Großvater begrüßt, der zuerst auf ihn zukommt, dann fühlt er sich als wäre er 16 Jahre alt - zu dem Zeitpunkt hatte er seine "Schuldgefühle" dem Großvater gegenüber verloren, den er mit 12 Jahren bei einem Krach zwischen ihm und seiner Mutter aus der Wohnung rausgeworfen hatte. Irgendetwas ist da noch" zwischen ihm und dem Großvater, es gehört ein Bild einer Trennung dazu, als der Großvater sehr weinte und beide Angst hatten. So ein Trauergefühl in der Brust, aber es bleibt unklar, welche Szene/Erfahrung dazugehört.
  4. Wenn er dann die Mütter begrüßt, dann fühlt er sich, als wäre er Jahre alt - zu dem Zeitpunkt hatte die Mutter ihm das Fußballspielen verboten, daß er so sehr liebte, während der Vater ihn heimlich unterstützte. So hatte er damals eine Uhr gestohlen, um sonntags morgens nicht zu verschlafen und heimlich (allerdings mit großer Angst) zum Spielen zu gehen.
  5. Wenn sich dann die Zeit mit zähen Gesprächen und mehrdeutigen Botschaften hinzieht, dann fühlt er sich schließlich wie ein Kleinkind, und hat ein Gefühl in der Brust, als würde etwas "herausgerissen", als müsse er "die Leere zwischen den Eltern füllen", als würde ihm "die Kraft abgesaugt", als müsse er "sich entschuldigen, auf der Welt zu sein". Eigentlich so, als wäre er Jahr alt - zu dem Zeitpunkt saß er auf einem Bett auf dem Balkon der Wohnung, während die Mutter Wäsche in Eimern gewaschen hatte. Er war vom Bett mit der Stirn auf die Kante des Eimers gefallen. Die Wunde hatte nicht schlimm ausgesehen, die Mutter war mit ihm nicht zum Arzt gegangen, und erst nach Wochen war das ständige Eitern im Augenbereich aufgefallen. Das wußte er (gewissermaßen aus zweiter Hand) aus den Gesprächen mit seinen Eltern.

Wir setzten diese Regressions-Serie ein wenig weiter in die Vergangenheit fort, weil beim nochmaligen Durch-"Gehen" auf der (auf dem Boden des Therapieraum vorgestellten) Zeitlinie in all diesen Positionen sowohl der Ärger auf die Mutter als auch das Gefühl, "sich entschuldigen zu müssen, geboren zu sein", blieb. Das führte zum Nacherleben einer Situation, in der er im Alter von 4 oder 5 Monaten vom Großvater (mütterlicherseits) während eines großen Familienfestes hochgehalten wird, dabei aber Angst hat, keine Halt spürt, weint, während alle lachen, und es der Mutter "irgendwie egal" ist.

Zu diesem Zeitpunkt entschied ich mich für das Interventions-Konzept des Re-Imprinting und wir begannen noch in dieser Sitzung, jene "erste" Situation zu explorieren und zu verändern:

  1. Er ging in die Position des Großvaters: der ist sehr traurig, aber weil es alle von ihm erwarten, hält er den Enkel mit der Maske eines stolzen Gesichtes hoch; aber er schaut an ihm vorbei und hat keine innerliche Verbindung zu ihm. Er ist traurig, weil seine Tochter ihn nicht liebt und liebe ihre Mutter an seiner Stelle zu diesem Fest als Gast gehabt hätte.
  2. Von außen aus der Beobachterposition wird deutlich, daß dem Großvater als Ressource die Fähigkeit fehlt, sich selbst zu mögen und zuversichtlich zu sein, daß die "Dinge in Ordnung kommen". Als Bauer kann er die rapiden Veränderungen im sozialen Leben nach dem zweiten Weltkrieg nicht verstehen.
  3. Der Vater (der auf dem Fest abwesend ist) fühlt sich nicht sehr zugehörig zu dieser seiner neuen Familie, weil er auf sich nicht stolz sein kann und mit seinem Sohn nichts anfangen kann. Er liegt im Streit mit seinem eigenen Vater. Seine Frau hat er geheiratet, weil man ja heiraten muß. Ihm fehlt ähnlich wie dem Großvater die Fähigkeit, sich selbst zu mögen.
  4. Die Mutter fühlt sich vom Ehemann verlassen; sie hatte geheiratet, weil sie aus die Ursprungsfamilie verlassen wollte; und jetzt fühlt sie sich durch das Baby gefangen. Sie haßt es und beschließt, es dafür büßen zu lassen, daß es ihr die Freiheit genommen hat! Ihr fehlt die Fähigkeit, sich zu lieben, als auch die Überzeugung, daß sie ihr Leben aktiv gestalten kann nach ihren Wünschen.

So wurde eine Art Psychogramm der Familie, eine mögliche Beschreibung der Beziehungsstrukturen deutlich, welche die Gefühle des Klienten verständlich werden lassen. Ich fragte ihn, wo er ihm Leben (auf seiner Zeitlinie) das Gefühl erlebt hatte, sich selbst zu mögen und sein Leben gestalten zu können. Er lachte und erzählte, wie er als 17-jähriger eine Meisterschaft im Thai-Boxen gewonnen hatte und sich unglaublich gut fühlte. Mit diesem Gefühl ging er in die Beteiligten Figuren, um deren Situationserleben zu verändern. Wir hatten einige Ressourcen hinzuzugeben, bis das Baby sehr zufrieden die veränderte Situation erleben und integrieren konnte.

 

3. Sitzung: "Re-Imprinting der Unfall-Situation"

Der Beginn gestaltete sich etwas schwierig, da er Ärger mit seinem Eltern gehabt hatte (er hatte massiv mit seiner Mutter gestritten) und jetzt fühlte er sich sehr angespannt. Wir sprachen das unter verschiedenen Gesichtspunkten durch, bis er sich auf das Explorieren der Unfall-Situation einlassen konnte. in der Zeitspanne vor dem Unfall erlebt er die Mutter (beim Wäsche waschen) als "halbwegs fröhlich" an diesem sonnigen Tag auf dem Balkon, allerdings fehlt ihr die Liebe und Nähe des Ehemanns; jedoch muß heute für die Härten des Lebens der Kleine nicht bestraft werden.

In der Zeitspanne vor dem Unfall ist das kleine Baby innerlich sehr traurig, fühlt sich verlassen; ihm fehlt die Liebe der eigenen Mutter. Und "es kann nicht lernen, wie man liebt". Aber es spielt auf dem Bett, um der Mutter zu zeigen, daß eigentlich alles in Ordnung ist.

Kurz vor dem Unfall trifft das kleine Baby eine neue Entscheidung und will nicht mehr weiterleben. Es versucht mit einem großen Energieaufwand diesen Unfall herbeizuführen, um sich das Leben zu nehmen. (Ich war total erstaunt, diese Schilderung sehr kongruent, aber mit ebenso großer Überraschung von dem Klienten zu hören, da sie allen meinen Annahmen über kleine Babys widersprach, da diese Beschreibung gewissermaßen aus dem Opfer einen Täter machte.) Die Sache mißlingt, und aus Angst vor Bestrafung bleibt es ganz ruhig, um nicht noch mehr Ärger der Mutter auf sich zu ziehen. Aus der Perspektive der Mutter spricht die Tatsache, daß das Baby nicht schreit, dafür, daß eigentlich nicht viel passiert ist. Wir haben diese Situation wie in der Stunde zuvor aufgearbeitet, bis er sagte, vorerst brauche er davon Abstand, daß sei zuviel im Moment. Er konnte jedoch (als Erwachsener) zustimmen, sich ab jetzt um das Baby jetzt kümmern wird, damit es die Welt unter seiner Obhut kennenlernt und auch lernen kann, wie man liebt.

Wir hatten noch Zeit, und da unser Ausgangspunkt die "Sprachstörung" war, fragte ich ihn nun, was er innerlich erlebt, wenn er klar und gut sprechen kann. Ich half ihm, sich in eine dieser Situationen hineinzufühlen, während er sich hinstellte (Bodenanker) und mir dann antwortete: "es ist, als wenn Boote ganz schnell durch die Kanäle im Gehirn flitzen und überall an der richtigen Stelle für die Worte anlegen". Und das geht "schschsch", "so schnell". (Mit dem "schschsch" hatte ich einen akustischen Anker, mit dem ich ihn oft unterstützte.) Wenn er aber unter der "Sprachstörung" leidet (er stellte sich im Therapiezimmer woanders hin: der zweite Bodenanker), dann ist im Kopf überall Nebel, und die Männer in den Booten finden die Anlegestellen nicht. "Sie haben dann auch keine Lust", sagte er lachend; und da sie gewerkschaftlich organisiert sind, drohten sie mit Streik, wenn er nicht aufhören würde, sich selbst Streß und damit Nebel zu machen. Er beschloß, zur Vorbereitung seiner Reise zu seinen griechischen Verwandten öfter mit diesen Männern zu reden, um zu lernen sich zu entspannen. So hatte er seine eigene Metapher für das Funktionieren/Nicht-Funktionieren des "Sprachzentrums" gefunden, die ihm ermöglichte, entweder mit den Männern in den Booten zu verhandeln oder aber den Nebel im Kopf aufzulösen.

 

4. Sitzung: "Interessante Veränderungen, Fortsetzung des Re-Imprinting"

Er erzählte, daß viel Neues geschehen sei: wegen seines 28. Geburtstags hat er mit Mutter "klar und sicher und fest" gestritten, das zweite Mal in seinem "ganzen Leben". Er wollte seinen Geburtstag nicht mehr bei den Eltern feiern, sondern in der eigenen Wohnung, in der er mit seiner Freundin lebt. Er hatte auch von sich aus die Zeiten für die Feier festgelegt und war nicht auf ihre ewigen Neu-Vorschlage eingegangen. Die Mutter hat immer wieder angerufen, Einwände vorgebracht, mit Nicht-Kommen gedroht. Dabei ist ihm deutlich geworden, was er lange Zeit nicht sehen wollte: er hat "die Rolle des Bösen", sein Bruder "die Rolle des Guten in der Familie". Und so entdeckte er auch allmählich seinen Haß und seinen Zorn auf die Mutter. Als er dennoch am Telefon sachlich und klar in seiner Position blieb, hat sie schließlich nachgegeben und es wurde noch eine sehr schöne Geburtstagsfeier. Obwohl die Sprachproblematik sich im allgemeinen spürbar gebessert hat, gab es in kritischen Situationen während und nach der Feier einen "neuen Tick": in beiden Sprachen verwendet er nun "an allen möglichen und unmöglichen Stellen" den weiblichen Artikel.

Ich bat ihn, sich an dieselbe Stelle im Therapieraum stellen, wo er das letzte Mal mit dem Nebel im Kopf gestanden hatte und an die schlimmste Situation hinsichtlich der Sprachstörung während oder nach der Geburtstagsfeier zu denken. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet, aber manchmal gibt es heftige Stürme. Dann bat ich ihn, langsam und sorgfältig seinen Weg zu finden zu der anderen Position (der erste Bodenanker aus der letzten Stunde) und wahrzunehmen, was sich alles in seinem Körper und seinem Kopf verändert, bis er ganz in der anderen Position sich befindet. Er ging dann einige Male hin und her (im Sinne des Collapsing Anchors), bis die Nebel sich lichteten und die Stürme sich beruhigt hatte. Den Männern in den Booten gefiel das sehr. Er selbst fühlte sich "klar".

Wir wendeten uns dann dem Einjährigen aus dem Re-Imprinting der letzten Stunde zu. Der brauchte dringend Erholung, weil er "sich damals so vergeblich verausgabt hatte, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen". Er war auch noch "am Schwanken zwischen halb sich umbringen wollen, halb endlich mal ausschlafen".

Wir setzten die Arbeit der letzten Stunde fort; es war für mich sehr eindrucksvoll zu sehen, wie sich sein nonverbaler Gesichtsausdruck veränderte, während er hin und her durch die verschiedenen Problem- und Ressource-Positionen ging: er 'blühte förmlich auf', was mich sehr angerührt hat, denn ich übersetzte für mich sein strahlendes Gesicht in: 'Ich kann jetzt, ich darf jetzt leben'. Der Kleine empfand viel Freude dort auf dem Balkon, er hatte Spaß am Leben und fühlte sich geborgen; er sah nicht mehr so "aufgeblasen groß" sondern kindgemäßer aus; er wollte sogar in dem griechischen Garten "spazieren gehen" und lachte, als Mutter und Großvater (der jetzt plötzlich dabei war) aus Angst um das Wohlergehen des Kleinkindes mit der Zustimmung zögerten. Mir erschien das als eine signifikante Änderung der sozialen Beziehungen innerhalb der inneren Familie. Ich ließ sie noch gemeinsam (den erwachsenen Klienten miteingeschlossen) in die Zukunft schauen, in der dieses Kleinkind einmal "groß sein und gut für sich sorgen wird".

Abschließend gab ich ihm als Hausaufgabe mit, mit diesem guten Gefühl einmal am Tag einige Schritte auf andere Menschen zuzugehen.

 

5. Sitzung: "Weitere Veränderungen und eine neue Metapher"

Der Klient erzählte, daß er sich nach der letzten Sitzung lange "super" gefühlt habe, weniger oft die weiblichen Artikel an grammatikalisch falschen Stellen verwendete als zuvor, vor allem aber: daß er jetzt in der Lage ist, sprachliche Fehler bewußt zu registrieren und gleich zu korrigieren.

Allerdings gab es eine "Panne" in einer beruflichen Situation. Wegen eines Schulkindes, daß er als Sozialarbeiter betreut, hat er eine Gespräch mit der zuständigen Lehrerin gehabt und es sind ihm "plötzlich keine Worte eingefallen", um ihr zu antworten. Ich ließ ihn gedanklich in die Situation gehen: er fühlt sich konfus, kann sich nicht abgrenzen und verliert die Worte. Konfus, weil er "alles gleichzeitig ordnen" muß. Als ich ihn fragte, wie und auf welchen Kanälen das 'alles' gleichzeitig bei ihm ankommt, sagte er lachend: "Da hängen alle möglichen Kabel raus aus dem Kopf, wie Antennen", wie Kabel in einem "Neubau". Nachdem ich einige Submodalitäten abgefragt habe, konnte er den 'Sinn' dieser Kabelvorrichtung beschreiben: sie sollen ihm helfen, atmosphärisch zu erfassen, was auf ihn zukommt. Allerdings brauche er diese Kabelverbindungen "eigentlich innendrin". Er nimmt die Kabel nach innen, verlegt und verdrahtet sie neu, was sich für ihn gut anfühlt. Damit ließ ich ihn wieder in die Situation mit der Lehrerin gehen: sein Verhalten ändert sich, es wird "seriöser und professioneller", er kann "viel klarer sehen" und auf diese Weise in aller Ruhe wahrnehmen, was auf ihn zukommt.

In Trance ließ ich ihn mit dieser neuen Kabelverbindung langsam in die Zukunft gehen, die nächsten vier Wochen, die er in Griechenland verbringen will, (vorweg) erleben. Anschließend berichtete er mir, daß "alles viel heller und klarer wurde"; daß er erkannte, daß er sich aufgrund von Schuldgefühlen (der "einzige Studierte" in der Familie) oft auch mit der Sprache dummgestellt hatte, um keine Vorwürfe über seinen Aufstieg hören zu müssen und wie er "irgendwo in den nächsten zwei Wochen" diese Schuldgefühle den Eltern gegenüber ganz verloren hat; daß er klarer sehen konnte, was eine "große Erleichterung" für die Augen war; und daß er gespürt hat, daß er sich abgrenzen kann. Interessanterweise hatte er während dieser Progression die Kabel noch günstiger "unter Putz" verlegt, so daß er frei in der Kommunikation "mit allem hantieren" konnte. Ich ließ ihn diese Progression über die verschiedenen Erfahrungs-Stationen noch einmal selbst machen, allerdings gemeinsam mit den Männern in den Booten (in seinem Kopf). Er fühlte sich anschließend "ganz sprachlos", diesmal allerdings, da sich die innere Ruhe und Gelassenheit dem Leben gegenüber so stark verstärkt hatte und da er das Gefühl hatte, er würde auf 8 Dioptrin kommen.

Als Hausaufgabe für die nächsten 4 Wochen in Griechenland gab ich ihm mit, sich von Zeit zu Zeit an dieses Zukunftsbild zu erinnern und sich ein Symbol dafür zu suchen.

 

6. Sitzung: "Veränderung der Seh-Stärke und weitere Regressions-Arbeit"

Zu Beginn der Sitzung zeigte er mir stolz seine neue schwächere Brille: links 13 -> 11,5; rechts 14,5 -> 12 Dioptrin; allerdings war es "schwierig bei dem Arzt", weil der ihm ganz automatisch bei der Konsultation eine stärkere Brille verschreiben wollte. Dann erzählte er mir begeistert von seinem Besuch in Griechenland. Es sei ihm sehr gut gegangen, auch bei seiner Verwandtschaft, gegen die er sich abgrenzen konnte. Er habe in einer größeren Stadt dort einen Vortrag gehalten und ein hervorragendes berufliches Angebot auf dem sozialen Sektor erhalten. Auch der Umgang mit seinen Eltern sei inzwischen für ihn klar; obwohl die Mutter wiederholt versucht habe, über "die Freundin herzuziehen" und ihn in Auseinandersetzungen zu verwickeln, sei er "nicht umgekippt". Sein Sprachverhalten sei noch besser geworden (ein normaler grammatikalischer Umgang mit weiblichen Artikeln), ausgenommen, wenn er übermüdet sei. Mit einem Wort, es ginge ihm eigentlich sehr gut (und so könne er auch "gut leben), aber manchmal sei da dieses Trauergefühl in der Brust.

Diese Gefühl führte in eine Situation in seinem 4. oder 5. Lebensjahr: seine Mutter, er und sein Bruder verabschieden sich vom Großvater auf dem Dorf, um wieder in die Stadt zu dem Vater zurückzugehen. Der Großvater weint, ist sehr traurig und fühlt sich "abgestoßen". Die Mutter ist ambivalent, weil sie auch zum Ehemann wieder zurückmöchte und ihren eigenen Vater nicht gut leiden kann. Ihr ist das ganze "lästig". Dem Bruder geht es gut. Nur er selbst ist ebenso wie der Großvater "todtraurig". Ihm fehlt (was auch in der räumlichen Anordnung der beteiligten Personen hier im Therapiezimmer deutlich wird) der Trost und das Kümmern von seiten der Mutter. Aber es fiel ihm schwer, die Stimmung (aus der Beobachterperspektive ebenso wie aus der Innenperspektive) und die Gefühle zu beschreiben. Deshalb gab ich dem "Kleinkind" Sätze vor, die es zu Ende formulierte:

"Ich ... bin einsam

"Das Leben ... ist eine Qual

"Liebe ... gibt es nicht für mich

"Die Familie ... ist nicht für mich da

"Meine größte Sehnsucht ... allein in den Bergen zu sein

Er erinnerte sich nun, daß er sich damals innerlich abwandte von der Trennungssituation, auf die Berge schaute und sich wünschte, er könnte sich "dort ganz allein ausheulen", weil es in der Brust so schmerzte. Eigentlich fehlte ihm damals völlig der "Sinn für das Leben". Und ihm wurde klar, warum er immer, wenn er Berge sieht, traurig wird. Bislang hatte er sich das damit erklärt, daß er beim Umzug nach Deutschland die griechischen Berge (seine Heimat) verlor, was ihm jetzt nicht mehr so logisch vorkam. Und er erinnerte sich jetzt auch, daß er als Junge oft in den griechischen Bergen allein spazieren gegangen war und laut mit sich redete, ohne es zu bemerken. Aber andere Griechen hatten es oft bemerkt, wofür er sich "zu Tode geschämt" hatte.

Die Zeit der Therapiestunde war um, da wir solange über seine guten Erfahrungen geredet hatten. Wir verabredeten, in der nächsten Stunde diese Arbeit zu Ende zu führen.

 

7. Sitzung: "Re-Imprinting der Abschieds-Situation"

In der Zwischenzeit hatte er an einer schweren Erkältung mit starkem Husten gelitten. Im "Brustbereich hat sich viel getan", tiefsitzende Spannungen haben sich gelöst. Aber es "fühlt sich jetzt an, als wäre da eine Wunde". Wir setzten die Arbeit der letzten Stunde fort und er "gab" der Mutter in dieser Situation die folgenden Resourcen: das Gefühl der Überforderung in Gelassenheit aufzulösen, die Trauer des Abschieds vom eigenen Vater empfinden zu können/dürfen und gleichzeitig als Mutter die Übersicht über die Erlebnis- und Verarbeitungsweisen ihrer Kinder zu behalten, um auch ihnen helfen zu können. Nachdem das Kind diese veränderte Situation integriert hatte, lauteten die Sätze:

"Ich ... kann leben

"Das Leben ... ist voller Erfahrungen

"Liebe ... gibt es, ich kann mit dem, was ich habe, leben

"Die Familie ... gibt es für mich, wenn sie auch nicht immer toll ist

"Meine größte Sehnsucht ... erwachsen zu werden und daß mir meine Eltern dabei helfen.

Er hatte das Gefühl, als könnte die "Wunde" im Brustbereich jetzt beginnen zu heilen, was in eine Art Meditation/ Heilungstrance am Ende der Sitzung führte.

 

8. Sitzung: "Abschluß-Sitzung"

Er erzählte mir, daß er "ein gemachter Mann" sei. Die neue berufliche Situation in Griechenland sei perfekt; er habe Sonderkonditionen bekommen, von denen er sich nicht habe träumen lassen. Die "Sprache ist Top", fast keine Fehler mehr. Er wollte früher nie sehen, wie ungerecht es oft in der Familie zuging, jetzt gibt es für ihn keine Tabus mehr, er spricht sehr klar über die Rollen in der Familie und Verwandtschaft und erlebt die Aussprachen als klärend. Manchmal spürt er noch ein Ziehen in der Brust, wenn etwas mit "Nähe und Distanz nicht stimmt". Er möchte noch lernen, besser "seine Gefühle auszudrücken". Mit den schon erwähnten Techniken haben wir daran abschließend noch etwas gearbeitet.

 

 

4 . Katamnese


8 Wochen danach erzählte der Klient in einem Gespräch: die beklagte Symptomatik sei nicht mehr auffällig, auch wenn er kein exaktes Deutsch rede. "Es ist nicht mehr so wie früher, wo man die Ohren zumachte". Entscheidend für ihn sei, daß es ihm gut ginge beim Reden, daß die emotionale Belastung in den ehemals kritischen Situationen völlig weggefallen sei. Nur wenn er sich Streß mache, dann habe er etwas Schwierigkeiten mit der Sprache. Mit dem Großvater verstünde er sich jetzt gut, mit den Eltern käme er "klar". Und seine Sehfähigkeit benutze er wie einen Signal-Geber: verschlechtere sich das Sehen, kläre er für sich, welchen Streß er sich ersparen könne, bis er wieder gut (mit der neuen Sehstärke) sehen könne. Und er wolle sich eine neue Brille mit 10,5 Dioptrin verschreiben lassen, weil er den Eindruck habe, das sei völlig ausreichend.

Als ich ihn 15 Monate später wieder traf, hatte er bereits eine Brille mit 7 Dioptrin. Dann ging er nach Griechenland zurück.

M.H. Erickson Institut Berlin
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