Wege, Muster und Modelle im Umgang mit ernsthaften Erkrankungen
Ulrich Hoening

Vor einigen Jahren kam eine Patientin mit der Aussage zu mir, die Ärzte einer Klinik hätte ihr gesagt, sie hätte noch höchstens 6 Monate zu leben. Auch durch ihre Arbeit bei mir, geht es ihr inzwischen gut und sie freut sich ihres Lebens. Diese Frau schrieb über die Zeit ihrer Gesundung ein Buch und nannte meinen Namen als einen von drei Therapeuten, bei denen sie gewesen war.

Seit der Veröffentlichung des Buches habe ich das Glück oder auch Pech, überdurchschnittlich viele Krebspatienten in meiner Praxis zu sehen. Glück, da ich dadurch viel Erfahrung sammeln konnte und kann; Pech, weil diese Schicksale auch immer wieder deprimierend und traurig sind. Man kann Menschen die köstlichsten Dinge vorsetzen, essen und trinken müssen sie sie selbst.

Ich unterscheide - zumindest bei ernsthaften Erkrankungen - zwischen drei Phasen. A) die "Erste Hilfe", B) das Umgehen und Versöhnen mit der eigentlichen Krankheit und C) das Verändern der Ursachen, die zu der Erkrankung geführt haben.

A) Die "Erste Hilfe"

In der Regel sind Menschen mit einer derartigen Diagnose extrem Ressource-arm und voller offener und/oder verdeckter Ängste, die mit einer individuell unterschiedlichen Hilflosigkeit gepaart sind. Die einen wissen einfach nicht, was sie tun sollen, die anderen wiederholen immer wieder mehr oder weniger mechanisch alle möglichen - oft fehlgeformten - Affirmationen, denen bei näherem Hinsehen oft die echte Überzeugung fehlt.

Beim ersten Gespräch, wie auch bei fast allen folgenden, lasse ich mir das Problem kurz schildern und frage nach dem Ziel. Anschließend bitte ich die Menschen, sich zu dissoziieren und beginne mit dem Feststellen des Present State und der Erforschung des Desired State. Das Dissoziieren hat den Vorteil, daß sich der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes von außen sieht (2. Position mit sich selbst) und damit andere Informationen erhält. Gleichzeitig trennt er sich von eventuellen problematischen Gefühlen, der Zugang zu Ressourcen wird dadurch viel leichter.

Vom Prozeß her beschäftigen wir uns in der Regel weniger mit der Erkrankung selbst, sondern eher mit den momentanen Bezügen des Klienten zu sich und seiner Welt. Dies wirkt sich natürlich auch indirekt auf seine Einstellung zu seiner Erkrankung aus.

Oft frage ich meine Patienten dissoziiert, was für sie Krebs (oder natürlich auch andere Erkrankungen) sind. Anschließend erzähle ich folgende Metapher:

Für mich ist Krebs (MS oder jede andere Erkrankung) wie eine Bibliothek. In ihr gibt es viele Bücher. Manche hat man schon oft gelesen, andere warten darauf und wieder andere führen ein merkwürdiges Leben. Jedesmal, wenn man sie in die Hand nimmt, denkt man sich, das lese ich später. Von wiederum anderen weiß man gar nicht, daß man sie besitzt.

Anschließend frage ich, welche "Bücher" denn das andere Ich denn bisher immer wieder hinausgeschoben hat. Welche Bücher immer wieder hörten, das lese ich später, jetzt nicht!

Mary ist 42 Jahre alt und lebt seit 2 Jahren mit einem Brustkrebs-Rezidiv und Metastasen in den Knochen. Anstatt jetzt direkt mit dem Krebs zu beginnen, erzähle ich meine Metapher und stelle Mary Fragen, wie sie zu ihrem bisherigen Leben steht, welche allgemeinen Ängste sie hat und wie sie sich und ihrer Welt begegnet.

Es stellt sich heraus, daß Mary a) den starken Wunsch hat, Anerkennung zu finden, b) Probleme mit ihrer Rolle als Frau hat und zusätzlich noch das hat, was ich für mich als ein c) "Kontrollproblem" bezeichne. Mary hat große Schwierigkeiten, Dinge geschehen zu lassen. Sie bemüht sich, alles zu kontrollieren. Mit anderen Worten ist sie extrem Aufgabenorientiert und der Beziehungsaspekt zu ihr selbst kommt zu kurz. Sie möchte anderen alles Recht machen und vergißt sich dabei selbst.

Jetzt bitte ich Mary für die andere Mary (von der sie sich dissoziiert hat) eine Hierarchie aufzustellen. Ich frage sie, welches Problem wir zuerst angehen sollten. Zusätzlich soll sie beachten, ob eventuell ein logischer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Punkten besteht. Der Prozeß bewirkt eine Klärung der Landkarte Mary`s.

Die Klientin entscheidet sich, mit dem Problem a) der Anerkennung zu beginnen. Dies überprüft die Klientin noch einmal im assoziierten Zustand, denn erst hier kann Mary die Entscheidung voll und ganz auch kinästhetisch überprüfen. Die Veränderung erfolgt normalerweise bei diesem Thema auf Identitätsebene.

Ein weiterer interessanter Aspekt von Anerkennung, aber auch Liebenswertigkeit und anderen Kernthemata ist deren Struktur.

Menschen erleben z.B. in ihrer Kindheit ein starkes Defizit, bei Mary ist es Anerkennung. Zuerst bemühen sie sich, dieses Defizit selbst auszugleichen. Wenn dies fehlschlägt, versuchen sie von ihren Mitmenschen diese Anerkennung zu bekommen. Das hat zwei Folgen: 1) muß Mary enorm aufpassen, was der oder die Menschen machen, von denen sie eben diese Anerkennung bekommt. Schließlich gehen diese Menschen sozusagen mit Mary`s Anerkennung spazieren. Geht dieser Mensch abends allein zum Essen weg, geht in gewisser Hinsicht Mary`s Anerkennung zum Essen. Sie dagegen sitzt Zuhause und weiß nicht, was ihre Anerkennung gerade macht. 2) bekommt Mary niemals exakt und genau die Anerkennung, die sie braucht und haben möchte. Es ist so gut wie immer zu wenig und / oder nicht genau die Form, die Mary gerade braucht. Als Folge tut Mary noch mehr für den anderen, um so mehr zu erhalten. Ein Perpetuum mobile. Mary macht den Fehler wie viele andere, sie macht mehr, anstatt etwas anderes.

Zum Abschluß der Sitzung bitte ich Mary über alles, was während der Sitzung gesprochen wurde für 24 Stunden Stillschweigen zu bewahren. Es erleichtert meiner Ansicht nach dem Unterbewußtsein enorm das "Verdauen" der Veränderung, wenn für diese Zeit sprachliche und auch schriftliche Kommentare und damit Meta-Statements und Metagefühle ausbleiben. Erst hier stelle ich auch die Frage, wann Mary wiederkommen möchte. Ich erstelle in meiner Arbeit keine Behandlungspläne, sondern meine Klienten entscheiden sich am Ende der Sitzung für den nächsten Termin. Die Menschen wissen fast immer, wann sie wiederkommen möchten.

Eine Ausnahme mit dem späteren direkten Arbeiten mit der Erkrankung mache ich lediglich dann, wenn dem Klienten eine Repräsentation seiner Gesundheit fehlt. So ging es z.B. Hartmut, dem Chef eines großen deutschen Unternehmens. Bei der ersten Sitzung stellte es sich heraus, daß er zwar "kämpfen" wolle, doch eigentlich nicht weiß, wofür. Bei Hartmut kam noch dazu, daß er zwar in allen Belangen "funktionierte", doch große Probleme mit der Frage hatte, was er denn eigentlich für sich selbst wolle. Hartmut, Anfang fünfzig, arbeitete etwa 15 Stunden täglich und Zuhause richtete er sich nach den Bedürfnissen seiner Frau. Er klagte über ein mangelndes Selbstbewußtsein, was meiner Ansicht nach in Chefetagen relativ häufig vorkommt. Trennt man den Menschen von seiner Funktion, also dem Chef sein, kommt oft ein Mensch hervor, der große Probleme mit sich und seinem Selbstwert hat. Auf der anderen Seite ist dieses Phänomen bis zu einem gewissen Grade in sich schlüssig. Wer so viel arbeitet und damit so wenig Zeit für sein Privatleben hat, macht das in der Regel selten "freiwillig". Er sucht seine Anerkennung in seinem Job, also sozusagen wieder im Außen und seine eigene "private Entwicklung" bleibt außen vor.

Hartmut fehlte also eine Repräsentation für seine Gesundheit. In diesem Fall mache ich mit meinen Klienten gerne die logischen Ebenen der Veränderung nach R. Dilts. Allerdings etwas anders, als Robert. Zuerst identifiziere ich das einschränkende Gefühl (= eine für ihn typische Situation, in der H. nicht weiß, wofür er bei seinem Problem "kämpfen" soll mit VAKO und "wenn dieses Gefühl ein Zentrum hätte" = "K") und begleite dann Hartmut mit Trance-Sprache durch die Ebenen.

Glaube/Werte: Bei dieser Ebene achte ich darauf, daß ich mit meiner Induktion die Überzeugungen kontextualisiere. Ich erreiche das damit, daß ich hier gezielt danach frage, was sich H. hier erlaubt und was sich H. verbietet, danach erst, was hier wichtig und was weniger wichtig ist. Zum Schluß soll H. einen Satz sagen, der beginnt mit "Ich glaube". Die meisten Menschen können ja nur bedingt einschätzen, welche Rolle Überzeugungen in unserem Leben spielen. Mit der Frage, was man sich erlaubt bzw. verbietet, ist es für viele Laien erheblich einfacher, diese Ebene mit Leben zu erfüllen.

Identität:: NLP-Beginner haben hier oft Schwierigkeiten zu unterscheiden, was eine Eigenschaft ist und was der Identität entspricht, die Klienten meist noch viel mehr. Meine Eselsbrücke ist ganz einfach. Wenn die Antwort zu der Frage paßt, wie ist derjenige, ist es eine Eigenschaft, paßt sie zu wer ist derjenige, entspricht es der Ebene der Identität. Kommt also eine Antwort wie bei H. "Ich bin angepaßt", frage ich: Wer sind Sie, wenn Sie angepaßt sind?", jetzt antwortet H.: "Ich bin ein Sklave!"

Bei dieser Form der logischen Ebenen kommt es relativ oft vor, daß die Antworten des Klienten bis zur Ebene der Identität mehr oder weniger Ressource-arm sind Da der Klient mit einem problematischen Gefühl beginnt (= Problemorientiert), chunkt er sozusagen seine Schwierigkeit hoch und erfährt dadurch sehr intensiv, wie sich sein Problem auf den verschiedenen Ebenen auswirkt.

Mission: Spätestens jetzt beginnt der Bezugsrahmenwechsel, Problemorientierung wird per Induktion durch Lösungsorientierung vertauscht. Dementsprechend ist es oft günstig, den Klienten explicit darauf hinzuweisen, daß er sich seine Mission aussuchen kann. Dadurch fällt es H. erheblich leichter, lösungsorientiert zu sein. Auch bei Mission und Vision lasse H. einen Satz finden, der beginnt mit dem Wort "Ich". Anschließend frage ich H., ob er sich selbst sieht. H. bejaht das, wie die meisten Klienten. In diesem Falle lasse ich das andere Ich heranzoomen und assoziiere H. mit seinem Bild. Danach frage ich nach dem Gefühl und bitte H., diesem Gefühl seine Stimme "zu leihen" und wiederum einen Satz mit "Ich" zu sagen. Sehr oft ändert sich durch die Assoziation der Satz.

Vision: Hier wiederholt sich das Gleiche, wie auf der Ebene der Mission. Die Ressource verstärkt sich dadurch erheblich. Hier hat H. ein komplettes ressourcereiches Bild von sich, wie er gesund ist. Nach der Assoziation findet H. den Satz: "Ich gebe und nehme."

Auf dem Rückweg ändern sich durch die starke Ressource alle Sätze. Auf der Glaubensebene verändere ich den Satzanfang des Klienten durch die Worte: "Ich bin überzeugt." Auf der Fähigkeitsebene durch: "Ich habe die Fähigkeit".

B) Versöhnen und Umgehen mit der eigentlichen Krankheit

Erst wenn der Klient eine ganze Reihe von Sitzungen mit "peripheren" Problem gemacht hat, kommen wir zu Punkt B), dem Versöhnen und Umgehen mit der eigentlichen Krankheit. Wann es genau soweit ist, kann ich leider nur umschreiben. Da ich selbst kinästhetisch überprüfe, "sagt mir das mein Bauch". Objektiv kann ich sagen, daß der Klient genügend Ressourcen haben sollte, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Mit jeder Veränderung wächst ja die Flexibilität des Klienten, sein Selbstvertrauen und vieles andere. Indirekt verändert er damit seine Grundannahmen, die zu der Erkrankung geführt haben. Denn wie bekannt, hat jedes Verhalten eine positive Absicht, also auch jede Erkrankung.

Bei Krebspatienten, besonders bei Patienten mit Brustkrebs finden sich häufig in der Anamnese die Mutter und / oder andere weibliche Verwandte, die die gleiche Krankheit hatten. Deswegen fahnde ich bei dieser Diagnose nach entsprechenden einschränkenden Glaubenssätzen. Allgemein läßt sich auch sagen, daß viele Frauen mit Brust oder Unterleibskrebs, jedoch bei Leibe nicht alle, die unterschiedlichsten Probleme mit ihrer Rolle als Frau oder auch Mutter haben. Natürlich finden sich auch schon während der "Ersten Hilfe" immer wieder Themata mit ähnlichem Inhalt.

Spätestens zu dieser Zeit überprüfe ich die Kongruenz meiner Patienten hinsichtlich der Erwartung ihrer Gesundheit.

C) Das Verändern der Ursachen, sie zu der Erkrankung geführt haben

Aus der Sicht des S.C.O.R.E. kann man die Erkrankung als Symptom sehen, das jeweils eine ganz andere Ursache haben kann. Aus dieser Sicht wäre z.B. ein entsprechender einschränkender Glaubenssatz der Mutter der Anlaß, also das Symptom. Die Ursache kann zumindest aus Sicht des NLP eine ganz andere sein. Eine Möglichkeit, diese zumindest teilweise zu finden, kann die Arbeit mit Archetypen sein, also das Mutter-, bzw. das Vaterbild. Auch die Arbeit mit den Archetypen (Liebende(r) , Krieger(in), (Magier(in) und König(in), die ich bei Stephen Gilligan kennengelernt habe, gibt hilfreiche Hinweise. Bei allen Archetypen leben die Menschen ihre besonderen Probleme und Schwierigkeiten aus. Für mich hat sich als Einstieg die Sichtweise bewährt, auf Konstellationen des Beschwichtigers (= problematische Ausprägung des Liebenden), des Anklägers (= des Kriegers), des Computers (= "Gegenteil" des Königs) und des Verwirrers (= des Magiers) zu achten. Immer wieder treten dadurch Wichtige Muster zu Tage, die zur Gesundung des Klienten beitragen können.

mutabor - Institut für angewandtes NLP

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