Interview mit Bert Hellinger

Berliner Veranstaltung 1995

Interviewpartner: Eveline Brunner, Wolfgang Lenk, Johannes Schmidt,Brigitte Zawieja,

Keywords: Erkenntnis, phänomenologische Wahrnehmung, innere Sammlung, Ordnung, Gemeinschafstgefühl, Liebe, Demut

F: Bei dem zweiten Tag unseres Seminares würde ich gerne mit dir über einige Dinge reden, so wie du deine Therapie verstehst und vielleicht die Hintergründe, die dahinter stecken. Soweit ich das verstanden habe, geht es in dieser Art Arbeitsweise oft darum phänomenologisch wahrzunehmen, was für ein bestimmtes System stimmt, aus dieser gesammelten Kraft heraus zu arbeiten. Und manchmal das Geheimnis dahinter, vielleicht paßt das Seele irgendwie, mit hineinzunehmen, ohne daß man exakt das definieren kann. Und trotzdem erleben alle: Es gibt fundamentaler Änderungen. Wie würdest du das beschreiben?

H: Es geht um die Beschreibung des Erkenntnisvorganges, so wie ich dich verstehe. Und das erste ist, daß man es nicht mit dem Begriff der Intuition, oder der Erfahrung der Intuition einfangen kann. Es ist für mich sehr viel mehr. Intuition zum Beispiel erfasse ich als ein blitzartiges Erfassen, wo es weiter geht , oder so, auf Zukunft gerichtet. Und die Intuition entsteht ohne mein Zutun, so augenblicklich. Was ich mache, bezeichne ich als Wahrnehmung. Und das ist etwas völlig anderes. Wahrnehmung heißt, daß ich mich einem Zusammenhang aussetze. Zum Beispiel: Ich schaue, was passiert, wenn Leute sagen, sie berufen sich auf ihr Gewissen, oder sie handeln gewissenhaft. Das ist ein sehr großes Phänomen, ein sehr vielschichtiges, das ich nicht verstehe. Und ich habe das zum Beispiel jahrelang einfach auf mich wirken lassen, mit gesammelter Aufmerksamkeit. bis ich plötzlich das Wesentliche wahrgenommen habe, was Gewissen eigentlich heißt. Nämlich es ist ein Gleichgewichtsorgan für ein System, mit dessen Hilfe jeder sofort wahrnehmen kann, ob er im Einklang mit dem System ist, oder nicht. Ob er herausfällt, ob er etwas tut, daß das Herausfallen als Folge nach sich zieht, oder ob er etwas tut, daß ihm die Zugehörigkeit sichert. Und dann hat sich herausgestellt, daß gutes Gewissen nichts anderes bedeutet, als: Ich darf noch dazu gehören. Und schlechtes Gewissen heißt: Ich muß befürchten, daß ich nicht mehr dazugehören darf. Es ist also aus einer Fülle von Phänomenen plötzlich das Wesentliche erfaßt. Und das ist eine phänomenologische Vorgangsweise. Die hat also nichts zu tun mit vorgefaßten Konzepten, auch nichts zu tun mit der Absicht etwas durchzusetzen, eine Idee zum Beispiel durchzusetzen, oder Traditionen hochzuhalten, oder was immer das sein soll. Es ist ein ganz schlichter gesammelter Vorgang.

F: Die systemischen Familientherapeuten, zum Beispiel die aus Heidelberg, die haben ein etwas anderes Verständnis von Therapie. Und in ihrem Verständnis spielt das Erstfinden von Wahrheiten, sie sagen Geschichten, eine wichtige Rolle. Weil sie glauben, man könnte so eine, in Anführungszeichen, objektive Wahrheit nicht entdecken. Die Arbeit hier zeigt, daß vielleicht mehr das Wort " finden" statt " erfinden" ein wichtiger Begriff ist. Als wäre es einfach da, wenn man es aufstellt.

H: Sobald man bei Erkenntnisvorgängen auf Absolutes zusteuert, dann liegt man schief. Erkenntnis ist ja ein Lebensvorgang, der dem Leben dient. Ich gehe davon aus, das ist jetzt so ein Bild, daß Erkenntnis entsteht aus einer Interaktion mit etwas, was ich aber nicht zu erfassen brauche. Ich erfasse das Ergebnis der Interaktion. Und da kann ich zum Beispiel sehen, daß wenn zwei sich dem gleichen Phänomen aussetzen, und sagen wir, sie wollen jetzt Verschiedenes erreichen, daß der eine mehr erreicht, als der andere. Wenn es jetzt darauf ankäme, daß es nur konstruiert ist, könnte ich ja gar nicht unterscheiden, ob es mehr ist oder weniger. Es gibt eine gewisse Orinetierung an etwas, was über die Konstruktion hinausreicht. Und zum Beispiel, was man in der Familienaufstellung sieht, das die Teilnehmer unmittelbar wahrnehmen, was in einem System ist, daß sie nicht einmal kennen, kann man mit konstruktivistischen Konzepten überhaupt nicht erfassen. Das aber an Konstruktivismus eine Wahrheit ist, daß es so etwas gibt, daß etwas aufgebaut wird, und viele Leute fallen dann darauf herein, diese ganzen Ideologien zum Beispiel, das ist ja unbestreitbar. Aber die Lösung besteht ja gerade darin, daß man sich aus den Konstrukten löst, und noch einmal sich erlaubt, erneut wahrzunehmen, was ist.

F: Die Frage, was wirkt in der Therapie in deiner Art von Arbeit. Wir würdest du das beschreiben? Was wirkt, was verändert das, das System, der Einzelne, seine Krankheit, seine Gesundung? Was wirkt in dieser Art von Arbeit?

H: Ich fange mit Vordergründigem an. Ich will erst einmal sagen, was ich unter einer Ordnung verstehe, weil die Wirkung ergibt sich aus dem Finden einer Ordnung. Wenn ich eine Ordnung finde, die richtige Ordnung find, ich sage das einmal so in diesem krassen Sinn, dann bewirkt das etwas Heilendes oder Lösendes in einem System. Ordnung ist etwas Vorgegebenes. Zum Beispiel ein Baum entfaltet sich nach einer Ordnung. Die ist ihm vorgegeben, Er kann aus dieser Ordnung überhaupt nicht herausfalllen, sonst ist es kein Baum mehr. Und ein Mensch entwickelt sich auch, entwickelt sich auch nach einer gewissen Ordnung. Und menschliche Systeme entwickeln sich auch nach einer gewissen Ordnung. Die ist vorgegeben. Aber manche sagen: Es muß so sein, weil sie sich das wünschen. Die Weltverbesserer, die wünschen sich eine andere Welt, als die, die sie vorfinden. Und dann machen sie eine künstliche Ordnung. Sie achten nicht, was die wirkliche Ordnung ist. Die wirkliche Ordnung ist etwas Verborgenes. Die kann ich eben nicht so herausholen. Und der Vorgang des Ordnungfindens ist bei mir so, daß ich mich auf mich zurückziehe, aber indem ich alles im Blick behalte. Und so ohne Absicht bin und ohne Furcht vor den Folgen. Und wenn ich so bei mir dann ganz gesammelt bin, bin ich in Verbindung mit etwas Größerem. Ich kann das überhaupt nicht definieren. Ich nenne es einmal Seele, wie du es am Anfang genannt hast, oder große Seele. Etwas Geheimnisvolles, aus dem Kraft kommt. Und wenn ich da in Verbindung bin, erkenne ich auf einmal gewisse Strukturen die helfen, oder die hindern. Und für Ordnung gilt für mich: Ordnung erweist sich in dem, was sowohl eint, als auch Entwicklung ermöglicht, beides. Und bei einer Familie, die in Unordnung ist, bei der sich jeder schlecht fühlt, wenn wir die aufstellen suchen wir eine Ordnung. Wenn wir die gefunden haben, sehen wir, es ist eine, die verbindet alle, und ermöglicht jedem eine Entwicklung. Das wäre also das erste. Und ich kann nun diese Ordnungen auf einer mehr oberflächlichen Ebene erkennen und damit arbeiten. Wenn also, sagen wir, jetzt so Ordnugen gefunden werden, zum Beispiel Ordnungen, die krank machen, Ordnungen, die heilen, kann ich auf einer relativ oberflächlichen Ebene damit arbeiten, weil ich sie weiß. Dann arbeitet jemand nicht aus einer unmittelbaren Erkenntnis der Ordnung, sondern aus dem, was er darüber gehört hat und wendet das an. Das ist eine Möglichkeit, wie man das machen kann. Aber dann bin ich sehr begrenzt in meiner Wirksamkeit. Während, wenn ich, sagen wir, in der Tiefe etwas erreichen will, muß ich innerlich mich sehr viel tiefer sammeln. Und es geht eigentlich auf eine leere Mitte hin. Und dann bin ich mit etwas Heilendem in Verbindung, das ich überhaupt nicht erklären kann. Man sieht es aber an der Wirkung. Und selbst, wenn ich das dann mitteile, sehe ich sofort an der Wirkung, ob ich wirklich in Verbindung war oder nicht. Ob das Wort nun auf einmal eine Bewegung auslöst im anderen, oder ob es nur Neugierde auslöst, oder Einwände oder Fragen. Daran kann man das unterscheiden. Man kann das nicht alles auf die gleiche Ebene bringen.

F: Die Sache mit den Ordnungen. Ich habe den Eindruck, das ist der Punkt, wo deine Arbeit am meisten auch mißverstanden wird, dir der Vorwurf gemacht wird, du seist da sehr dogmatisch, da würde auch ein Stück der Ordensmann durchkommen. Und ich persönlich erlebe es nicht so. Ich sage ab und zu: Für mich bist du da eigentlich der glaubhafteste Empiriker, weil du phänomenologisch vorgehst. Aber ich erlebe auch, daß diese Arbeit eine Haltung der Feinfühligkeit und der Wertschätzung erfordert. Ich bin überrascht, jetzt auch bei diesem Seminar, mit was für einer Ruhe und inneren Sammlung du das durchhälst. Weil oft sehr belastende Situationen im Raum entstehen und man auch im Publikum merkt ....... Woher nimmst du diese Kraft für diese Haltung. Also, ich sage einmal, du bist auch ein Mensch. Wie hälst du dich in dieser inneren Sammlung und in dieser Klarheit der Wahrnehmung?

H: Ich gebe erst einmal Antwort auf die Frage.

F: Eine Frage zu der Abgrenzung, das wäre vielleicht noch meine Frage zusätzlich.

H: Sonst vergesse ich die, ich muß jetzt erst einmal bei dieser Frage bleiben. ........ Die Ruhe kommt, oder auch die Wahrnehmung kommt aus der Zustimmung zur Welt, wie sie erscheint. Also ohne eine Absicht, sie zu verändern. Und das ist so eine ganz, das ist im Grunde eine religiöse Haltung. Weil sie sich einfügt in ein größeres Ganzes, ohne sich herauszunehmen, es besser zu wissen, oder einen besseren Ausgang erreichen zu können, als die tiefen Kräfte von sich aus ansteuern. Deswegen ist die Grundhaltung, daß ich zustimme, wie es ist. Wenn ich etwas Schlimmes sehe, dann ist es für mich Teil der Welt, der ich zustimme. Und wenn ich etwas Schönes sehe, stimme ich auch zu, sowohl als auch. Und das ist, was ich Demut nenne. Die Zustimmung zur Welt, genau wie sie erscheint. Und erst diese Zustimmung, ermöglicht es mir, überhaupt wahrzunehmen. Weil sonst werde ich durch meine Konstrukte, ich sage es einmal so, oder meine Absichten oder meine Ideologien an der Wahrnehmumg gehindert. Und jetzt ist da noch ein Geheimnis da drinnen. Daß nämlich die Ordnung sich eben nicht deutlich zeigt, sondern von Augenblick zu Augenblick anders ist. Da ist etwas Vielfältiges, eine Fülle, die kommt nur punktuell zum Ausdruck, deswegen ist die eine Familienstellung anders, als die andere. Obwohl vielleicht die Grundsituationen ähnlich sind. Wenn ich es aber erkenne im Augenblick, daß es so ist, dann sage ich das: So ist es. Und manche, die daran gewöhnt sind, an richtig und falsch zu denken, meinen, das sei eine allgemeine Aussage über Wahrheit. Das ist es dann nicht. Es ist eine Wahrnehmung für etwas, was im Augenblick ist. Und das gilt für diesen Augenblick und ist in diesem Augenblick auch völlig einsichtig. Wenn ich das jetzt loslöse von der Wahrnehmumg und daraus eine Lehre mache, dann erscheint es dogmatisch. Das machen aber die anderen, nicht ich.

F: Dazu noch eine Frage: Wenn man soviel gibt und soviel nimmt, wie kann man sich da abgrenzen als Mensch, ohne ........

H: Es ist so, daß sich der Therapeut auf eine höhere Ebene begibt, so, oder auf eine tiefere, das spielt gar keine Rolle. Aber das Bild ist schöner auf der höheren Ebene. Wenn ich auf dem Berg bin und schaue herum, brauche ich mich gegen nichts abzugrenzen. Ich sehe es, bin Teil vom Ganzen, brauche mich dennoch nicht abzugrenzen. Bei der Fülle braucht man sich nicht abzugrenzen. Nur wenn man sich zu nahe heranbegibt, und auch Fremdes auf sich nimmt, oder so, dann bin ich nicht mehr einer, der nur zuschaut. Und dann ist die Abgrenzung schwer. Aber so auf dem Berg fühlen sich ja die meisten Leute wohl, weil der Blick so weit ist.

F: Gut, nachdem ich die Arbeit von dir gesehen habe, frage ich mich, wieviele Sinne du eigentlich hast. Und ganz speziell frage ich: Was kannst du uns mit auf den Weg geben, um unsere Sinne ähnlich zu schulen, oder genauso gut, wenn möglich, wie du es für dich erreicht hast?

H: Das erste habe ich nicht genau verstanden, also was soll ich haben?

F: Ich frage mich, wieviele Sinne du eigentlich hast?

H: Sinne?

F: Sinne.

H: Ah so. Es gibt also, sagen wir, die Sinnesorgane müssen da sowieso offen sein. Aber es gibt ein Organ, das geht darüber hinaus. Das ist so etwas wie eine ganzheitliche Wahrnehmung. Und die ganzheitliche Wahrnehmung wird möglich, indem ich allem so ein recht gebe, also nichts ausklammere. In der Familienaufstellung gebe ich jedem einen Platz in meinem Herzen, auch dem, der als böse dasteht oder als der Täter. Oder vor dem andere Angst haben oder Ekel. Ich gebe dem einen Platz. Wenn ich sie plötzlich alle zusammen habe, bin ich mit einer Ganzheit in Verbindung. Ich erlebe das als eine Ganzheit. Ich sehe zum Beispiel einen Menschen nicht individuell. Ich sehe ihn immer als Teil eines größeren Ganzen. Und wenn ich zu jemandem rede, rede ich eigentlich nicht zu ihm als Person, sondern ich rede zu ihm, zu seiner Seele gleichsam, wo er mit etwas Größerem verbunden ist, wenn ich therapeutisch arbeite. Und das bewirkt dann eben viel mehr, als wenn ich ich so eingrenze auf jemanden. Und wenn man jetzt schulen will. Die beste Schulung ist die Schulung der Wahrnehmung. Und dann ergeben sich die anderen Dinge sehr leicht.

F: Danke.

F: Ich würde gerne noch einmal auf die Frage zurückkommen, was wirkt. Mir ist aufgefallen, daß du den Patienten, den Kranken sehr viel zumutest. So wie du sagst, bis zum aüßersten gehst. Und mir ist aufgefallen, daß du an einem bestimmten Punkt abbrichst, damit es sich weiterentwickelt, entfaltet, die Kraft wirkt. Kannst du das noch ein bißchen näher beschreiben, wie du das verstehst?

H: Ja, also, ich schreite mit einem Patienten oder Klienten das ganze Feld ab. Von Folgen seines Verhaltens oder von Folgen der Schicksale in seiner Familie. Ich grenze es nicht ein etwas Glückliches oder ....., sondern ich schaue auch das Schwere an, gerade das Schwere schaue ich an. Und ich gehe mit ihm an diese Grenze, wo sein System aufhört. Das heißt im Endeffekt, ich gehe mit ihm bis an den Tod, auch, und schaue dem auch ins Auge, der Möglichkeit, daß er stirbt, oder daß etwas schiefgeht. Und das schreite ich ab nach der einen Seite und nach der andern Seite. Dann habe ich das ganze Feld von Wirklichkeit dieses Systems. Und wenn das abgeschritten ist, dann weiß ich, wo die Grenzen sind, und was innerhalb dieses Feldes möglich ist. Also, innerhalb des Feldes ist die Möglichkeit von Veränderungen. Und das an der Grenze, das könnte man nennen: Teufel an die Wand malen. Das ist es aber nicht. ich gehe mit ihm an die Grenze, ich begleite ihn auch dahin, mutig, ohne Angst. Und er nimmt jetzt wahr, was alles möglich ist, und das gibt ihm jetzt Kraft. Und aus dieser Kraft sucht man nun eine Lösung, die für alle am besten ist. Manchmal ist die Lösung wirklich an der äußersten Grenze. Es gibt keine andere. Aber meistens ist noch eine andere möglich. Und die kann ich jetzt viel eher ereichen, weil ich an diese Grenzen gegangen bin, vorher mit ihm. Und er sieht also jetzt Wirklichkeiten dieses Systems in der vollen Breite. Und dann findet er am ehesten den gemäßen Weg.

F: Ich würde gerne eine Frage stellen zu "Liebe". Du hast auch im Verlauf des Seminares gesagt, wenn Kinder sich mit mit ihren Eltern streiten, das ist die Oberfläche. Da drunter ist eigentlich, Eltern lieben ihre Kinder, Kinder lieben ihre Eltern, sodaß man eigentlich denken könnte, es ist eigentlich alles aus Liebe geboren. Und wenn man das verliert, kommt das System in Unordnung, wenn man das wiederfindet, anerkennt, kann das System wieder in Ordnung kommen. Würdest du das auch so sehen?

H: Ich möchte, bevor ich jetzt darauf eingehe, noch einmal zurückkommen auf die Ordnung. Was wie als Werte bezeichnen oder als Sinn, ist etwas, was der Ordnung dient. Also dem, was der Einheit dient und der Weiterentwicklung dient. Deswegen kommt die Ordnung immer zuerst. Alles andere steht im Dienst der Ordnung. Ich kann also nicht über Werte die Ordnung verändern wollen, weil ich sage: Das ist der höchste Wert, deswegen muß sich die Ordnung jetzt nach diesem Wert richten, nein umgekehrt. Der Wert richtet sich nach der Ordnung. Und die Liebe richtet sich auch nach der Ordnung. Die Liebe steht im Dienste der Ordnung. Und der höchste Ausdruck der Liebe ist, wenn ich jemanden seine Zugehörigkeit bestätige, oder genauer, ich anerkenne, daß er das gleiche Recht der Zugehörigkeit hat wie ich. Und ich mute ihm auch zu, daß ich das gleiche Recht der Zugehörigkeit habe, wie er. Und aus dem entwickelt sich dann ein ganz tiefes Gemeinschaftsgefühl. Das ist aber die Liebe, die löst. Darunter laufen andere Arten der Liebe. Zum Beispiel eine Bindungsliebe, die aus der Bindung kommt. Daß also ein Kind, weil es die Größenzusammenhänge noch nicht erfaßt, sich einfach an seine Mutter klammert oder an seinen Vater, und auf jeden Fall bei ihm bleiben will, auch wenn er tot ist. Und daraus entsteht dann die Dynamik: Ich folge dir nach in den Tod. Das ist aber eine, die ist schlimm für das System, weil ja einer weg geht, und der andere geht auch weg, statt daß sie da sind. Wenn aber jetzt das Kind erwachsen ist, und anerkennt, daß der Vater noch da ist, auch wenn er tot ist, daß es mit ihm verbunden ist, daß er ihn ihm weiterlebt, daß er einen Platz hat in der Seele, dann ist der Vater sozusagen in seinem Recht auf Zugehörigkeit, auch wenn er tot ist, bestätigt. Und das Kind kann sein Recht, daß es dazugehören darf, auch zumuten, aber mit Liebe. Es kann nur en Vater bitten: Sei freundlich, daß ich dableibe, oder so, wie immer das dann ist.

F: Ich habe anschließend an den Wolfgang noch einmal eine Frage nach der Wirksamkeit. Deine Arbeit kommt in letzter Zeit sehr stark an die Öffentlichkeit. Und ich sage jetzt einmal, ins grelle Licht der psychotherapeutischen Profession. Und je mehr das geschieht, umso mehr entsteht auch das Bedürfnis nach Evaluation von dem was du tust. Auch unter Kollegen, wenn man Gespräche führt, kommen immer wieder Zweifel und Fragen auf über die Wirksamkeit. Da werden Dinge gesagt, wie: Ja, das ist eindrucksvoll, das geht tief, das ist in gewisser Weise wie ein psychotherapeutischer Schnellschuß, aber es ist ja völlig ungeklärt, was es für Wirkung hat. Ich denke, was im Moment mit deiner Arbeit passiert, ist auch, daß sie in ein anderes großes System hineingezogen wird, ein Stück weit. Jetzt ist die Frage, ob dieses System dir gerecht wird. Trotzdem entsteht auch manchmal in mir die Frage, nach einem Verlauf von ein, zwei Jahren, gibt es eine Möglichkeit, oder ist das Anmaßung, oder können wir dem eigentlich nicht gerecht werden, eine Einschätzung der Situation noch einmal vorzunehmen? Um zu sehen, ob es wirkt. Es ist ähnlich wie in der Hypnotherapie, wo man innere Bilder modifiziert oder versucht, zu modifizieren, und dann den Prozeß im Unterbewußten laufen läßt. Aber sich auch irgend wann die Frage stellt: Ja, hat es eine Wirkung, hat es keine?

H: Ich halte dieses Bedürfnis schon für legitim. Daß man sehen will, welche Wirkung es hat. Und ich bin auch bereit, in gewisser Weise da mit zusammen zu arbeiten. Deswegen will ich auch eine Dokumentation erstellen, wo man sieht, was in einem Kurs abgelaufen ist. Und dann auch Rückmeldngen von den Patienten, die aufgestellt haben, einholt und die mitveröffentlicht. Das ist schon ein Ziel. Andererseits ist es so, daß , um es zu bewerten, muß einer das selber machen. Wenn einer das selber macht, kann er selber ganz leicht abschätzen, was hilft und was nicht hilft. Und kann dann auch sehen, welche Wege er gehen muß, damit es besser wird. Ich erkenne auch, daß meine Art der Vorgangsweise aus dem ganzen Spektrum nur ein enges ist. Ich sehe Kollegen, die auch Familien aufstellen, die das ganz anders machen und sehr wirksam machen. Weil die haben ein anderes Spektrum in der Wahrnehmungsfülle, daß sie bearbeiten, und das hilft auch. Ich bin da gar nicht auf Enges festgelegt. Die wichtigste Rückmeldung ist sofort bei der Aufstellung. Da kann man sehen, was hat sich da verändert im Gefühl, im Blick und so. Was aber einer damit macht, kann der Therapeut nicht bestimmen. Deswegen ist, sagen wir, die Evaluation nicht eine richtige, weil die vielen anderen Faktoren, die dann hineinspielen, können nicht berücksichtigt werden. Zum Beispiel, wenn die Treue des Kindes zu seinen Eltern noch einmal durchbricht, und er doch lieber stirbt, als daß er die Lösung annimmt, dann könnte man sagen, die Therapie war nicht erfolgreich. Aber das stimmt ja nicht. Es ist noch einmal ein ganz neuer Vorgang, der da Platz greift.

F: Noch eine letzte Frage. Die Rolle der Demut, und die, ich weiß gar nicht, wie ich das ausdrücken soll, die Rolle von Demutsgebärden oder bestimmten Körperhaltungen. Welche Rolle spielt das für dich, und wie bist du darauf gekommen? Denn mich haben verschiedene, oder ist es vielleicht offensichtlich, daß verschiedene Demutsgebärden in verschiedenen Religionen vorhanden sind, das Hinknieen, oder das Sich-so-ganz.-Niederbeugen.

H: Also, ich habe sie alle abgelesen aus dem konkreten Verlauf. Und das erste, was ich abgelesen habe, war, daß die leichte Verneigung des Kopfes nach vorne, Energie im Rücken hochsteigen läßt in den Kopf. Also daß diese, sagen wir, etwas hochmütige Haltung des Nach-oben-Schauens, daß die Energie abspaltet. Und wenn einer den Kopf leicht nach vorne neigt, fließt Energie. Er kommt viel mehr in Kontakt mit der Erde. Und wenn jetzt das einer vor seinen Eltern macht und macht das noch tiefer, dann bringt er die ursprüngliche Ordnung zur Geltung, nämlich daß die Eltern groß sind, und er ist klein. Und die tiefste Verneigung geht ja bis auf den Boden. Und der Satz, der sie begleitet, heißt: Ich gebe dir die Ehre. Das geht nur auf Vater und Mutter. Kaum, vielleicht noch auf Großeltern, aber sonst auf niemanden, diese ganz tiefe Verneigung. Und die ist die äußerste Demut. Das merkwürdige ist, daß in dem Augenblick, derjeneige, der sich dem aussetzt, seine Eltern ganz in sich spürt, und sich dann neben sie stellen kann auf gleiche Höhe, ohne Anmaßung und ohne Erniedrigung.

F: Herzlichen Dank.

H: Okay, gut.

 


[ MILTON ERICKSON INSTITUT BERLIN ]